Wir fordern Teilhabe

Das GIPA-Prinzip


GIPA ist ein Prinzip, das weltweit gilt, und es bedeutet: Greater Involvement of People with HIV and Aids.

Auf dem ‘Paris Aids Summit’ am 01. Dezember 1994 wurde dieses Prinzip beschlossen und in der sogenannten ‘Paris Declaration’ von 42 Staaten unterzeichnet.

 

Greater Involvement of People with HIV and Aids - das bedeutet, dass Menschen mit HIV und Aids in allen Bereichen und auf allen Ebenen bei sie betreffenden Entscheidungen miteinbezogen, beteiligt werden sollen. In der Deklaration heißt es wörtlich: „…participation in decision-making processes that affect their lives…” („…Teilnahme an Entscheidungsprozessen, die sich auf ihr Leben auswirken…“) - getreu dem Slogan: nothing about us without us!

Seit dem 01. Dezember 1994 soll also nicht mehr einfach über die Köpfe von Menschen mit HIV und Aids entschieden werden. Sie sollen in alle Entscheidungen einbezogen werden - und das in allen Bereichen. Sowohl  in der Medizin, in Bezug auf die Medikamente, als auch in den Aidshilfen. Denn es soll nicht nur nicht über uns bestimmt werden, sondern wir sollen auch in der Lage sein,  für uns zu entscheiden - denn wir sind Expert:innen in eigener Sache!

Für die Bundesrepublik Deutschland unterschrieb damals Horst Seehofer (CSU) in seiner damaligen Funktion als Bundesminister für Gesundheit die Deklaration.

 

Vorläufer der ‚Paris Declaration’ ist das ‘Denver-Prinzip’, eine 17 Punkte umfassende Erklärung, die bis heute Grundlage des HIV- und Aidsaktivismus und der Interessenvertretungen von Patient:innen ist.

Auf Veranstaltungen über das Thema Aids merken die Menschen mit Aids, dass das Leben mit Aids dort auf den Podien wortreich beschrieben wurde - aber irgendwie nicht zur Selbstwahrnehmung, zum Bild von sich selbst passte. Die Menschen mit Aids spürten, dass die wirklichen Expert:innen zum Leben mit Aids nicht auf dem Podien, sondern davor saßen. Deshalb entschied sich eine Gruppe von damals zumeist Aktivisten auf dem National AIDS Forum Denver dies zu ändern. Sie wollten endlich mitreden - und nicht mehr nur zum Zuhören verdammt sein. So stellten sie in 17 Punkten Empfehlungen an Menschen mit Aids, das Personal im Gesundheitswesen und alle anderen Menschen zusammen. Sie verurteilten das Drängen in die Opferrolle und sprachen nicht von „Aidskranken”, sondern von Menschen mit Aids. Denn als solche definierten und sahen sie sich. Zur Abschlussveranstaltung stürmten sie dann die Bühne und stellten ihre Erklärung vor. Und danach verbreitete es sich wie ein Lauffeuer. Bis heute definiert das ‘Denver-Prinzip’ entscheidend das Selbstverständnis von Menschen mit HIV oder Aids. Eines der geforderten Rechte der Erklärung lautet: „Wir haben das Recht auf ein lebenswertes Dasein, auf ein gefühlsmäßig und sexuell voll befriedigendes Leben, wie jeder andere Mensch auch.” (Punkt 13) Damals ein Meilenstein für das Selbstverständnis vom Leben mit HIV und Aids und den Aktivismus.

 

Das GIPA-Prinzip hat aber nicht nur einen Vorläufer, sondern auch eine Fortsetzung.

Auf der 9. Konferenz der Internationalen AIDS-Gesellschaft zur HIV-Wissenschaft 2019 in Paris wurde die ‘Paris Community-Erklärung’ verabschiedet, die von 80 Aktivist:innen weltweit erarbeitet wurde. In der Erklärung heißt es unter anderem, dass Menschen mit HIV oder Aids nicht nur Zahlen sind. Sie stellt klare Forderungen an internationale Organisationen, führende Politiker:innen und Regierungen, die wissenschaftliche und medizinische Community, Pharmaunternehmen und die Geldgeber - aber auch an die eigene Community. Unter anderm wird das Zueigenmachen von u=u / n=n gefordert. Die Aktivist:innen der ‘Paris Community-Erklärung’ sehen diese als Bekräftigung des ‚Denver- und GIPA-Prinzips.

 

Also, nehmen wir uns das GIPA-Prinzip nicht nur als Vorbild, sondern fordern wir dieses -mit seinem Vorläufer und Nachfolger- ein. Denn: Es gibt keine nachhaltige und überzeugende Arbeit im Bereich HIV und Aids, wenn wir als Expert:innen in eigener Sache nicht in allen Bereichen und bei allen Entscheidungen dabei sind und einbezogen werden! Menschen mit HIV und Aids sollten auf allen Ebenen bei sie betreffenden Entscheidungen beteiligt werden.