Viele von uns waren fassungslos, als sie Berichte über das Urteil zum Marburger Zahnmedizinstudenten lasen, das in den letzten Wochen in vielen großen deutschen Tageszeitungen thematisiert wurde: die Uni Marburg erachtete die Teilnahme des HIV-positiven Studenten wegen befürchteter Infektionsgefahren als zu gefährlich und schloss ihn deshalb von diesen aus.
Für eine:n Student:in der Zahmedizin kommt das einem Studienverbot gleich.
Rechtsanwalt Jacob Hösl aus Köln, bereits aus mehreren Prozessen zum Thema HIV bekannt, ist als Vertreter des Studenten vor Gericht aufgetreten. Jacob hat den Münchner Positiven – in Zusammenarbeit mit AktHIV.de - zu dem Prozess als auch dem Urteil einige Fragen beantwortet.
Das Interview hat Engelbert Zankl von den Münchner Positiven geführt. Er ist Vorstandsmitglied von Projekt Information, war lange Jahre bei der Münchner Aidshilfe für die Therapiehotline zuständig und als HIV- und Therapie-Aktivist in Deutschland und Europa unterwegs.
Herzlichen Dank!
MüPos/AktHIV.de: Jacob, wie schätzt du das Urteil bzw. die Einzel-Urteile ein?
Jacob: Vorweg: das Ganze ist eine relativ komplizierte Angelegenheit, weil sich das im öffentlichen Recht nach sogenannten Verwaltungsakten richtet. Die Besonderheit hierbei war, dass immer nur ein Verwaltungsakt erlassen wurde, der jeweils für ein Semester gegolten hat. Das führt aber dazu, dass gegen jeden einzelnen Verwaltungsakt Widerspruch eingelegt werden muss. Wird der Widerspruch zurückgewiesen, muss Klage beim Verwaltungsgericht erhoben werden. Im vorliegenden Fall wurde nun immer erst zu Ende des jeweiligen Semesters über den Widerspruch entschieden und beim ersten Bescheid musste Klage erhoben werden. Das Problem ist, dass der Klageweg im Verwaltungsrechtsweg Monate bis Jahre dauert.
MüPos/AktHIV.de: Wie ging es also weiter? Wie seid ihr vorgegangen?
Jacob: Faktisch war der Student durch mehrere Bescheide zunächst von allen Kursen, inzwischen nur noch von den konkreten praktischen Übungen ausgeschlossen. Wir haben selbstverständlich gegen alle Bescheide Einspruch eingelegt, da ist jedoch noch nichts weiter passiert. Im Ausgangsbescheid wurde er von allen Kursen ausgeschlossen und er sollte bereits im letzten theoretischen Semester – also bereits vor Beginn des praktischen Teils des Studiums - alle 6 Wochen eine Viruslastuntersuchung vorlegen.
MüPos/AktHIV.de: Sozusagen eine präventive Maßnahme, die regelmäßige Einnahme der Medikaments zu überprüfen.
Jacob: Ja. Dagegen haben wir uns auf dem Weg der der einstweiligen Verfügung gewehrt. Das Verwaltungsgericht Gießen hat uns mit einer sehr ausführlichen und gut abgewogenen Entscheidung erstinstanzlich Recht gegeben. Dagegen ist die Uni in Beschwerde gegangen und der hessische Verwaltungsgerichtshof hat dann die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Gießen aufgehoben. Damit war der gesamte Weg, in einem Schnellverfahren zum Erfolg zu kommen, sozusagen zunichte, da alle weiteren Versuche zu derselben Entscheidung geführt hätten.
MüPos/AktHIV.de: Ja, ich war auch sehr überrascht, das man keine Berufung einlegen kann.
Jacob: Ja, bei dem einstweiligen Verfügungsverfahren gibt es nach der ersten Entscheidung zwar noch die Beschwerde, aber das ist sozusagen die letzte instanzliche Entscheidung bei dem sogenannten Eilverfahren. Und da kann das letztinstanzliche Gericht im Prinzip reinschreiben was es möchte, weil es keine Überprüfbarkeit mehr gibt. Leider hat sich der Hessische Gerichtshof, also die Rechtsmittelinstanz für die Verwaltungsgerichte, nicht wirklich mit der Thematik auseinandergesetzt, hier erwartet man ein sorgfältigeres Arbeiten.
Und das ist auch deshalb so schlimm, weil wir dadurch beim Thema Zahnärzt:innen und HIV, an dem wir ja seit Jahre arbeiten, nicht weiterkommen. Zahnärztekammern und -organisationen wehren sich heftig dagegen, sich ernsthaft mit der HIV-Thematik auseinanderzusetzen.
MüPos/AktHIV.de: Sehr überraschend war ja auch, dass das Gutachten von Hr. Prof Dr. Jürgen Rockstroh nicht anerkannt wurde.
Jacob: Ja, da hast Du völlig Recht. Es gibt ja sehr viele Verfahren, in denen die Übertragbarkeit von HIV das Thema ist. Dort sind sind immer nur Virologen oder Epidemiologen gefragt. Und das ist auch richtig so, denn das sind die Leute, die das Thema studiert und verstanden haben.
MüPos/AktHIV.de: Ein Schlüssel in der ganzen Sache scheint ja auch die Betriebsärztin gewesen zu sein. Meine Frage dazu: Muss ich wirklich auf Verlangen von Betriebsärzt:innen hin einen HIV-Test vorlegen?
Jacob: Manche Betriebsärzt:innen interpretieren ihre Aufgabe wohl ein bisschen subjektiv. Tatsächlich müssen sie sich an die bestehenden Empfehlungen und Richtlinien halten. Seit 2012 gibt es die gemeinsamen Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Virologie und der Deutschen Virologenvereinigung, in denen sehr klare Definitionen aufgestellt sind, wann HIV und auch HCV und HBV in beruflichen Tätigkeiten relevant sind. Das heißt, sie dürfen im Grunde nur das machen, was medizinisch notwendig oder erlaubt ist.
MüPos/AktHIV.de: Ist das der Ausgang des Verfahrens nun eine Katastrophe?
Jacob: Juristisch und fachlich ist es sicher eine Katastrophe. Vor allem hat der Student keinerlei Sicherheit. Selbst wenn er allen Forderungen nachkommt. Allerdings haben wir im Nachgang viel öffentliches Interesse erfahren und haben das nach wie vor. Ich denke also, dass sich da schon etwas bewegt.
MüPos/AktHIV.de: Jacob, wir danken dir für das Gespräch. Dem Studenten drücken wir die Daumen, das doch noch alles gut ausgeht.
Jacob: Beim DÖAK (23. - 25.März in Bonn) gibt es übrigens eine Veranstaltung zu diesem Thema.
MüPos/AktHIV.de: Das freut mich sehr. Und hoffentlich wird es auch von den HIV-Aktivist:innen bald eine Aktion zu dem Thema geben.
Einen ausführlichen Artikel zum Thema findet ihr auch im magazin.hiv:
https://magazin.hiv/magazin/zahnmedizin-uni-marburg-studienstopp-wegen-hiv/
(06.02.2023os)
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